Das Bundesverfassungsgericht * |
Gesetzentwurf
der Abgeordneten Stephan Brandner, Marc Bernhard, Siegbert Droese, Franziska Gminder, Jörn König und der Fraktion der AfD
Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
(Gesetz zur Einführung der Begründungspflicht)
A. Problem
In Deutschland steht es jedem Bürger frei, sich bei einer Verletzung seiner Grund- rechte nach Erschöpfung des Rechtsweges mit einer Verfassungsbeschwerde ge- mäß § 90 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) an das Bundesver- fassungsgericht zu wenden. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Einschät- zung, ob es die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt, einen weiten Beurteilungsspielraum. Es nimmt eine Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung an, soweit ihr keine grundsätzliche ver- fassungsrechtliche Bedeutung zukommt, wenn es nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist, oder wenn dem Beschwer- deführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache kein besonders schwe- rer Nachteil entsteht. Der Nichtannahmebeschluss ist nach § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht anfechtbar. Er muss gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG außer- dem nicht begründet werden. Die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde ohne Begründung soll das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer über Jahre angestiegenen Anzahl von Verfassungsbeschwerden vor einer übermäßigen Ar- beitsbelastung schützen und seine Funktionsfähigkeit erhalten.
Die aktuelle Rechtslage ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Reformprozesses, durch den der Handlungsspielraum der Richter des obersten deutschen Gerichtes hinsichtlich der Annahme oder Nichtannahme schrittweise erweitert und zugleich der ihnen auferlegte Rechtfertigungsdruck verringert wurde. Mit der Gesetzesno- velle von 1963 (vgl. BGBl S. 589) und der Einführung des Annahmeverfahrens wurde der Begründungszwang für die Nichtannahme abgeschafft. Für die Begrün- dung des Beschlusses der Nichtannahme genügte nunmehr ein Hinweis auf den für die Ablehnung maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt. Das Mehr oder We- niger an Begründung blieb dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters überlassen (vgl. BT Drs. 4/1366). Im Änderungsgesetz von 1985 (vgl. BGBl S. 2227) wie- derum wurde das Erfordernis der Begründung akzentuiert, indem der „maßgebli- che rechtliche Gesichtspunkt“ dargelegt werden musste. Mit der Novelle von 1993 (vgl. BGBl S. 1442) entfiel das Begründungserfordernis im Interesse einer Entlastung des Bundesverfassungsgerichtes vollständig. In dem Maße, wie der Handlungsspielraum des Gerichtes erweitert wurde, wurde das Schutzinteresse der Bürger jedoch eingeschränkt. Der frühere Hinweis auf die maßgeblichen Gründe der Nichtannahme wurde mit der 5. Novelle von 1993 (vgl. BGBl S. 1442) vollends fallengelassen, sodass die Nichtannahme nicht mehr begründet werden muss. An dieser Verfahrensweise hat sich erhebliche Kritik entzündet.
Die vollständige Befreiung von der Begründungspflicht hat zur sog. Praxis des „leeren Blatts“ geführt: Die Kläger erfahren nur mehr den Verweis auf die gesetz- lichen Grundlagen über die Nichtannahme ihrer Klagen zur Entscheidung, ohne jedoch Anhaltspunkte für die fehlende Relevanz oder die nicht evidente Grund- rechtsverletzung zu erhalten. Berechtigterweise führt solch eine Praxis zur weit verbreiteten Ansicht, dass es sich bei der individuellen Klagebefugnis des § 90 Abs. 1 BVerfGG um ein „ausgehöhltes Recht“ handele, das jedermann zwar wahrnehmen könne, allerdings keine Bedeutung entfalte. Durch die fehlende Be- gründung der Nichtannahme wird das Recht der Verfassungsbeschwerde syste- matisch entwertet. Entsprechend ist die Anzahl abgewiesener Verfassungsbe- schwerden seit der 1993-Novelle angestiegen. Die Begründung der Nichtan- nahme von Beschwerden vermeidet nicht nur das Misstrauen der als Verlierer hervorgegangenen Prozesspartei, sondern ebenso das der gesamten interessierten Öffentlichkeit.
Die Aufhebung der Begründungspflicht lässt sich als Verstoß gegen das Rechts- staatsprinzip verstehen, das sich darin ausdrückt, dass Entscheidungen begründet und nachvollziehbar sein müssen, damit eine Kontrolle des Staatshandelns ge- währleistet bleibt. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG steht deswegen im Widerspruch nicht nur zur Begründungspflicht des § 30 BVerfGG, der dem höchsten deutschen Gericht aufträgt, seine Entscheidungen schriftlich abzufassen, zu begründen und von den Richtern, die daran mitgewirkt haben, unterzeichnen zu lassen. Urteile des Bundesverfassungsgerichtes ergehen im Namen des Volkes und müssen zwin- gend aus diesem Grund durch das Volk kontrollierbar und nachvollziehbar sein, was deren Begründung voraussetzt.
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* unter Brechung des Copyrights schamlos geripped von FT Alphaville.
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